Die Geschichte von Rabbit BMX Bremen
Geschrieben am 29. Oktober 2015. Letztes Update: 06. Aug 2024
Die junge Geschichte des BMX-Sports in Deutschland verdankt vieles einigen wenigen engagierten Leuten, die mit viel Herzblut und Einsatz alle Hebel in Bewegung setzten, um innerhalb etwa 40 Jahren BMX auch hierzulande zu dem zu machen, was er ist: ein etablierter, olympischer Sport. Hier sind natürlich die Initiatoren der ersten BMX-Bahnen zu nennen, auf die ich gleich noch eingehen möchte, aber auch jene, die dafür gesorgt haben, dass die BMX-Begeisterten Kids vernünftige Räder und Bekleidung haben und ihnen mit Rat und Tat zur Seite standen zu einer Zeit, wo es noch nicht selbstverständlich war, an jeder Ecke ein halbwegs langlebiges BMX-Rad kaufen zu können. Dies ist der Versuch, die Geschichte von “Rabbit BMX Bremen” zu rekonstruieren, einem der allerersten BMX Läden Deutschlands.
Der kleine Wolfi
Wolfgang Fritscher wurde am 13. Januar 1946 in Gmunden geboren und kam in den 60er Jahren nach Bremen, um seine Frau Karin zu heiraten. Sie wohnten in einer schlichten Mietswohnung im Bremer Stadtteil Marßel, weit im Norden der Stadt. Leider kann nicht mehr erfragt werden, wo genau der Hang zum Cross herkam. Wolfgang Fritscher hatte einen ganz eigentümlichen Hang zu unkonventionellen Autos und Sportarten. Er interessierte sich nicht für Fußball und baute für seine Familie einen alten Bedford zum Wohnmobil aus. Irgendwann kam er auf die fixe Idee, mich, seinen damals wohl etwa achtjährigen Sohn, auf die Motocross-Strecke in Hoope bei Bremen zu schleppen und auf ein Mini Crossmotorrad zu setzen. Mir war das alles zu stressig und zu laut (ist es immer noch – Anm. des Autors) und so blieb es bei diesem einen Besuch. So ganz war das Thema allerdings nicht vom Tisch, denn fortan wurde ein Klapprad mit Mofareifen und einem Numberplate aus dem Boden alter Putzeimer mein liebstes Stück und die alleinige Nachmittagsbeschäftigung. Ich machte damit mit meinem Kumpel das Brachland zwischen Bremen-Marßel und Ritterhude unsicher.
Ein Funke reicht, um ein Feuer zu entfachen. Durch diesen Artikel im "Weser Kurier" erfuren die Fritschers von BMX
So um 1981 herum ist Wolfgang dann über einen ganz unscheinbaren Artikel im Bremer „Weser Kurier” gestolpert: BMX. In Bremen-Grohn, nur fünf Kilometer vom damaligen Wohnort der Fritschers entfernt, gab es eine BMX-Strecke und dort fand ein Rennen statt. Es muss eines der ersten BMX-Rennen Deutschlands gewesen sein. Was er dort sah, hat ihn sehr beeindruckt. Auch lokale BMX-Größen wie Christoph Matthias und Fred Rennemüller waren mit dabei und haben die spannenden Rennen auf der Strecke des Vegesacker BMX Clubs bestritten. Welten taten sich auf. Der Sohn war sofort begeistert, auch wenn er sich zunächst noch etwas unsicher fühlte. Dem Vater gefiel, was er sah, und so wurden gemeinsame Besuche an der Sportanlage Oeversberg bald zu einer schönen Gewohnheit. Man lernte die Fahrer, die Eltern und die Menschen kennen, die hinter dieser lebendigen Szene standen. Die ganze Familie war schnell vom BMX-Fieber angesteckt und steckte bis zum Hals im Geschehen.
Yours truly (links) zu Pfingsten 1981
Einen guten Kilometer weiter befand sich das Fahrradgeschäft “Teichreber”. Der deutsche Meister und Vizeweltmeister im Cyclocross, Ekkehardt Teichreber, war maßgeblich dafür verantwortlich, BMX nach Deutschland zu bringen und betrieb im Keller seines Ladens eine komplette BMX-Abteilung. Neben “BMX Action” Magazinen und imposanten Postern fand sich hier alles, was es zu dieser Zeit an BMX-Teilen gab -- doch das war zum größten Teil guter, aber eben auch ziemlich unspektaktuläres Material der Marke Centurion und Teile, die über Centurions Großhandel nach Deutschland importiert wurden. Ekkehardt Teichreber hatte zwar (zusammen mit Wolfgang Renner und Hartwig "Hajo" Hoffherr) den BMX-Sport nach Deutschland gebracht, aber nie den dazugehörigen Markenfetisch geteilt. Der Laden war natürlich Treffpunkt fachsimpelnder Jungs, die schwer beeindruckt vom den erhältlichen Teilen, aber natürlich, auch angestachelt durch US-Magazine, ständig auf der Suche nach Neuem waren. Sie fanden in Wolfgang bald einen aufmerksamen Zuhörer wenn es um neue, seltene Teile ging, die eben nicht bei Teichreber zu haben waren.
Die BMXer von Bremen-Grohn circa 1982
Vermutlich wurde Wolfgang Fritscher erstmals im Sommer 1983 so richtig bewusst, dass es einen Bedarf nach „exotischen” BMX-Teilen gab, als er auf einem Rennen in Magstadt war. Dort stand er: ein glänzender, verchromter GT-Rahmen, komplett mit dem bald zum Markenzeichen avancierenden „gepiercten” Oberrohr. Was heute eine Selbstverständlichkeit ist, war damals eine kleine Sensation und wurde dementsprechend bestaunt. Dies würde ich als die Geburtsstunde von Rabbit BMX bezeichnen und den Moment, an dem Wolfgang erkannte, dass hier ein echtes Bedürfnis bestand. Die Vegesacker BMXer bemerkten, dass Wolfgang eine Schwachstelle hatte, und fingen an zu quengeln. Eine Großbestellung „Vans”-Schuhe aus England war das erste Mal, dass Wolfgang Ware zu sich bestellte, um sie dann weiterzugeben.
Wolfgang gibt den Sprecher auf einem Rennen in Bremen-Grohn, vermutlich 1983
Zu dieser Zeit fuhr Wolfgang mit seiner Familie regelmäßig im Sommerurlaub mit dem Wohnmobil nach England. Der Leidenschaft des Sohnes folgend wurden auch dort bald BMX-Kontakte geknüpft und so stolperte er über „Hot Wheels”, einen BMX-Händler und Großhändler im Süden Englands, der unter anderem GT für England importierte. Aus Hot Wheels ist die Cycling Sports Group hervorgegangen, einer der weltweit größten Vertriebe für Fahrräder und Zubehör. Diese Verbindung machte er sich zunutze und so dauerte es nicht mehr lange, bis die ersten GT-Rahmen im Partykeller der Bremer Mietswohnung landeten. Wolfgang hatte das „Sammelbesteller”-Prinzip, welches er von einer Freundin seiner Frau kannte, auf BMX adaptiert und gegen Vorbestellung Rahmen aus England importiert. Fracht und Importzölle, Händlermargen und all das Zeug waren erstmal egal. Im ersten Schritt wurden die Kartoffeln beiseitegerückt und der Keller mit heißer Ware gefüllt. Der mattschwarze GT-Rahmen, der damals einen halben Tag dort verblieb, hat sich bis heute bleibend in mein Gedächtnis eingebrannt. Wolfgang arbeitete zu dieser Zeit noch Vollzeit in der Versandabteilung einer Dosenfabrik und fuhr, mehr aus Spaß und zur Unterstützung seines Sohnes, auf BMX-Rennen im ganzen Land und ins europäische Ausland. Und so begann er auch, befreundeten Fahrern bei ihren Radproblemen zu helfen.
Wolfgang und Karin vor der frisch entrümpelten Blockhütte
Der nächste Schritt zu einem „echten” Geschäft kam dann eher fließend. Auf den Rennen lernte Wolfgang den Berliner Michael Müllmann kennen, der gerade dabei war, seinen Laden „California Sports” zu einem Großhandel auszubauen. Bis heute ist er mit seinem Unternehmen unter dem Namen Sport Import sehr aktiv in der BMX-Szene. Michael unterstützte und ermutigte Wolfgang in seinem Plan, ein eigenes Ladengeschäft aufzubauen, und bot ihm freundlicherweise erste Ware auf Kommission an. Es heißt, die beiden saßen irgendwann zusammen und sahen dabei zu, wie ich mit meinem Rad halb besessen auf der Straße herumhoppelte. Da hatten sie die zündende Idee: Der Name „Rabbit” war geboren. Eine erste Annonce im „Speed Jump“-Magazin wurde geschaltet, in der sich Wolfgang das erste Mal den „Blitzversand“ auf die Fahnen schrieb. Ein Anspruch, dem er sich bis zuletzt verpflichtet fühlte. Das Telefon zu Hause stand nicht mehr still. Aus dem schönen Hobby wurde ein richtiges Geschäft.
Das Ladengeschäft „Auf dem hohen Ufer 86” eröffnete im Jahr 1985. Die „Sport Hütte”, ein Sportgeschäft mit Solarium, welches auf dem täglichen Weg zur BMX-Bahn lag, wollte eine nebenstehende Blockhütte vermieten: Eine Bretterbude voller Gerümpel, die drohte, in der dem Plumpsklo angeschlossenen Sickergrube zu versinken. Wolfgang griff zu (wer kann da widerstehen?) und riss in mühevoller Kleinarbeit Wände raus und legte die Kloake trocken. Er richtete den Laden so her, wie er bis zum Schluss bestand: Als die Hütte erst voller Teile war, war an Umbau und Renovierung kaum mehr zu denken. Die Pleite der „Sport Hütte” ließ nicht lange auf sich warten. Wolfgang kaufte das Haus und machte es zu einer Wohnung für seine Familie. Den vorderen Teil des Sportgeschäftes nutzte er als Showroom für das stetig wachsende Geschäft Rabbit BMX.
Mittlerweile hatte er auch seinen regulären Job als Versandleiter eines Bremer Bootsausstatters aufgegeben und widmete sich voll und ganz dem BMX-Geschäft. Mein Interesse verlagerte sich in Richtung Freestyle und so begann Wolfgang um 1985 vermehrt auf Freestyle-Contests zu fahren. Während auf den BMX-Rennen immer zumindest ein Händler anwesend war (damals waren es u. a. Rainer’s Bike Shop und BMX Spezialist Bohnenstengel, die Service an der Strecke anboten), schien es im Freestyle niemanden zu geben, der sich um die Belange der Fahrer kümmerte. Wolfgang kaufte sich einen Anhänger, den er als rollenden Laden mit Werkstatt ausrüstete. Damit fuhr er zu allen Contests in Deutschland, die es damals noch sehr zahlreich gab.
Wolfgang mit seinem Anhänger auf einem BMX Contest im Jahre 1988
Die Freestyle-Jahre waren rückblickend vermutlich die lukrativsten in der Geschichte von Rabbit BMX. Durch den engen Kontakt zu den Fahrern konnte Wolfgang immer ganz genau einschätzen, was in der Szene angesagt war. Er zögerte deshalb auch nicht, die beliebtesten Marken nach Deutschland zu importieren. Er war Großhändler und Einzelhändler in einer Person. Zu seiner besten Zeit war Rabbit BMX Importeur so illustrer Marken wie Pulse, Standard, S&M Bikes, Homeless, Hoffman Bikes, Wilkerson Airlines und Pro Designed. Es kam nicht selten vor, dass der Parkplatz vor der Blockhütte vollgestapelt war mit sündhaft teuren Rahmen aus den USA, die er direkt an die Fahrer weiterverkaufte.
Rabbit BMX wurde damit zum Prototypen zahlreicher „Super-Distros”, die es über die Jahre in Deutschland gab. Busy-P/WTP und Parano/La Finca sind nur zwei Beispiele, die nach dem gleichen Prinzip funktionierten. Wolfgang versuchte, das Geschäftsmodell auszubauen und begann mit Geschäftspartnern in Hamburg, München und Trier Filialen aufzumachen. Rabbit Distribution war der Großhandel, Rabbit BMX Bremen der Einzelhandel in Bremen und Rabbit BMX ein Versandhandel in Hamburg. Leider konnte sich Rabbit Trier nicht lange halten und auch die Hamburger Geschäftspartner setzten bald lieber auf ihre Eigenmarke.
Das Rabbit Racing Team um 1990
So sehr Wolfgang dem Konzept „Werbung” auch skeptisch gegenüberstand, so sehr war er doch bedacht, immer wieder Fahrer bei ihrer Karriere zu unterstützen. Es begann mit dem allerersten Rabbit Trick Team, das mit einer transportablen Quarterpipe und beflockten Sweatshirts über die Dörfer tingelte, um Freestyle-Shows zu fahren. Etwa 1989 startete auch das Rabbit BMX Racing Team und das Rabbit Freestyle Team, das von 1991 an erfolgreich war.
Mit dem Tod von Wolfgangs Frau Karin im Jahr 1991 und meinem eigenen Umzug ging Wolfgang leider der Kontakt zur Freestyle-Szene verloren. Andere Geschäfte drängten auf den Markt und Wolfgang gab offen zu, nicht mehr so wirklich zu verstehen, was im Freestyle angesagt war. Mit seiner neuen Frau Kerstin (einer langjährigen BMX-Racerin) begann er sich wieder voll und ganz auf seine ursprüngliche Leidenschaft zurückzubesinnen, den BMX-Rennen. Mittlerweile sah es dort mit dem Service vor Ort leider sehr schlecht aus und Wolfgang wurde mit seinem Anhänger mit offenen Armen empfangen. Die Marke Redline, mit der er eine langjährige Geschäftsbeziehung aufgebaut hatte, war im BMX Racing ein Garant für Erfolg.
Wolfgang gehörte mit seinem Gespann zum Inventar der europäischen BMX-Szene. Kaum ein Wochenende verging, an dem er nicht irgendwo unterwegs war, um Kindern ihre Platten zu flicken, Laufräder zu zentrieren oder schnell die Übersetzung zu wechseln. Er pflegte festen Kontakt zu Fahrern und Betreuern und war auch durch die Aktivitäten seiner Frau Kerstin fest im BMX-Geschehen eingebunden.
“Auswandern” war immer ein Thema für Wolfgang. Früh schmiedete er mit seiner Frau Karin und seiner Schwester Barbara Pläne, eines Tages eine Finca in der mexikanischen Bahia California zu beziehen. Der Tod beider Frauen verhinderte dies leider. Erst als es seinen Bruder Georg nach langer Odyssee nach Teneriffa verschlug und er mit seiner dritten Frau Sigrun eine Partnerin fand, die den Traum vom Auswandern teilte, erwachte der Plan, Rabbit BMX zu schließen und die wohlverdiente Rente auf der Insel zu genießen.
Mein letztes Foto von Wolfgang aus dem Jahr 2014. Im Hintergrund bin ich und Wolfgangs Enkelsohn Karlo
Im Jahr 2011 war es dann endlich so weit. Nachdem Haus, Anhänger und Inventar stückchenweise verkauft wurden, zogen Wolfgang und Sigrun in das kleine Städtchen Abades an der Südostküste Teneriffas. Leider war ihm kein langer Ruhestand gegönnt und so verstarb Wolfgang am 21.2.2015 nach kurzer, aber heftiger Krankheit an Leukämie.
-- thomas fritscher, 2022